Hermann Gattikers «Malerkolonie»
Hermann Gattiker (1865–1950) verstand sich als Landschaftsmaler, und auch als Lehrer war ihm daran gelegen, seinen Schülern das Landschaftszeichnen gründlich zu vermitteln. So beantragte er als Lehrer an der Gewerbeschule Zürich (1899 bis 1902), Landschaftszeichnen in einem zusätzlichen Semester als Abschluss des ganzen Lehrgangs zu etablieren. Aber nicht nur das: Als Gattiker im Frühling 1899 nach Rüschlikon zog, zog er auch eine Gruppe von Schülern nach, um sie dort jeweils im Sommer in zweimonatigen Kursen zu unterrichten. Unter ihnen – alle zwischen 19 und 26 Jahre alt – waren Jakob Wyss, Hans Brühlmann, Albert Zubler, Christian Conradin, später dann auch Hans Sturzenegger und Gustav Gamper.
Die Schüler belegten vier Zimmer im einstigen neuen Nidelbad (heute Brahmshaus). Unser Wohnhaus ist das ehemalige Nidelbad, eine wundervoll gelegene, aber jetzt ziemlich wackelige Bude, schrieb Hans Brühlmann nach Hause. […] Dass wir ziemlich arbeiten, werdet ihr glauben; wir sind jetzt unser 7, also eine respektable Malerkolonie; tagsüber wird gearbeitet, der Abend und die Nacht gehören unserem Übermut. Zu diesem übermütigen Treiben gehörten unter anderem quasi-militärische Manöver, in denen man einander in Gruppen „bekämpfte“ und Feuerwerk aller Art verschoss; für dessen Nachschub sorgte anscheinend vor allem Hans Sturzenegger. Hermann Gattiker war (natürlich) einer der Obersten der beiden Gruppen; er soll sich noch im Alter mit Vergnügen an dieses Treiben erinnert haben.
Nicht alle waren davon jedoch gleicherweise begeistert; so gab es etwa von der Behörde einen Verweis wegen nächtlicher Ruhestörung. Im Herbst 1899 schliesslich zog das Maler-Ehepaar Fritz und Gret Widmann ins Brahmshaus ein, und die «Malerkolonie» musste weichen. Sie hatte ihre Unterkunft fortan im nahgelegenen Hotel Belvoir, was Mehrkosten mit sich brachte. So kalauerte Hans Brühlmann denn auch:
O Rüschlikon, du Malerort,
Du warst uns oft ein Talermord.
Wie Hans Sturzenegger berichtet, fasste die Künstlergruppe den Plan, ihr Schaffen in einer gemeinsamen Mappe zu dokumentieren. Dafür entwarf Hans Brühlmann auch eine Vignette, Malergruppe Alt-Nidelbad*; die Sammelmappe kam vermutlich jedoch nicht zustande.
Später erfuhr die «Malerkolonie» Zuwachs durch andere Studenten und auch durch Studentinnen der Stadlerschule, einer Kunst- und Kunstgewerbeschule für Damen in Zürich, an der Gattiker von 1900 bis 1910 unterrichtete. Unter ihnen könnte Helen Dahm gewesen sein, die bei Gattiker an der Stadlerschule studierte. Wie lange dieser die Sommerkurse in Landschaftszeichnen durchführte, liegt im Dunkeln; sie endeten wohl spätestens, als Gattiker zu unterrichten aufhörte, wahrscheinlich aber schon früher.
Allerdings erfuhr Gattikers Lehrtätigkeit sehr viel später eine unerwartete Fortsetzung: Der Maler hatte sich schon 1904 etwas unterhalb von Brahmshaus und Belvoir ein Haus bauen können. Dort erschien 1934 die Kunststudentin Isabelle Dillier aus Zürich und setzte bei Gattiker durch, dass dieser ihr Privatunterricht erteilte – natürlich in Landschaftszeichnen.
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Diese Darstellung beruht auf Lothar Kempters Monographie Hans Brühlmann – Leben Werk Welt (Basel und München 1985); sie bietet ein ausführliches Bild der Malerkolonie (Seiten 51–57, 61–65).
*Es besteht eine gewisse Konfusion bei der Namensgebung der beiden gleicherweise Nidelbad genannten Badehäuser, so auch bei Hans Brühlmanns Vignette Malergruppe Alt-Nidelbad. Das erste, also alte Nidelbad steht seit dem Spätmittelalter an der Stelle der auch heute noch so genannten Gebäulichkeiten (Eggrainweg / Quellenweg); das zweite, also neuere Nidelbad steht seit dem frühen 18. Jh. an der Stelle des heutigen Brahmshauses (Säumerstrasse). Brühlmanns Vignette zeigt das Hotel Belvoir. – Siehe dazu auch oben «Nidelbad und Brahmshaus».