Brahmshaus und Nidelbad

Neydelbad hiess im frühen 16. Jahrhundert das Heilbad auf der Ebene über Rüschlikon: Neydelbad (Nidelbad), weil sich auf der Oberfläche des schwefelhaltigen Wassers eine gelbliche Haut ablagerte, ähnlich wie Rahm (Nidle) auf der Milch. Der Zürcher Naturforscher, Stadtarzt und «Bäderfan» Conrad Gessner würdigt das Bad – freilich nicht gerade an erster Stelle – in seiner Schrift Heilquellen Helvetiens und Germaniens (De Thermis et Fontibus medicatis Helvetiae et Germaniae, Teil eines 1553 in Venedig erschienenen Sammelwerks Corpus Venetum de Balneis). Freilich lässt der Ausbruch der Pest im frühen 17. Jahrhundert den Badebetrieb für längere Zeit einbrechen und erst im frühen 18. Jahrhundert gelingt es, ihn wieder in Gang zu bringen. Ein Leutnant Hans Fehr aus Rüschlikon lässt 1709 das Wasser neu fassen und zu den Badegebäuden leiten. (Das Wasser entspringt nicht einer eigentlichen Quelle, sondern sammelt sich im Moorboden der Gegend an).

Gleichzeitig beantragt Fehr beim Rat von Zürich eine Subvention für sein Bad. Dieser gibt seinerseits bei den Naturforschern und Stadtärzten Johann von Muralt und Johann Jakob Scheuchzer ein Gutachten in Auftrag, wie und wo ein Badhaus und Zugehörden zu bauwen sei. Obwohl das Gutachten anscheinend positiv ausfällt, wird Fehrs Antrag schliesslich abgelehnt.

Trotzdem floriert der Badebetrieb – so dass sich auch Amtmann Bernhard Esslinger aus Winterthur dafür zu interessieren beginnt. Er beantragt bei der Gemeinde Rüschlikon die Erlaubnis, im Moorgebiet (heute Moos) Torf abbauen zu dürfen. Und dies in bestimmter Absicht – wie J. J. Scheuchzer 1717 schreibt: Anno 1716 hat Herr Amtmann Eßlinger bey Anlas seines Turff-Handels sin schönes mit 20 Gemächern versehenes Gebäu aufführen lassen / an einem sehr lustigen Orth / da man obsich und niedsich weit und breit den See übersehen kann […].

Das neue Bad mit Gästehaus (das heutige Brahmshaus) verfügt freilich über kein eigenes Heilwasser; man kauft dieses dem unteren Bad (Nidelbad) ab und wärmt es mittels Torffeuerung auf – später eine Quelle anhaltender Probleme …

 

Kupferstich von Johannes Simmler (1712 oder 1717)

Links im Hintergrund: das alte Nidelbad (B: Das Alte Badhauß)
Mitte: das neue Nidelbad (A: Neüw Gebauenes Bad- und Durben Hauß)
Rechts im Vordergrund und Hintergrund: der Torfabbau (C: Wie man Durben Grabt; D: Schöpf darin man Durben tröcknet)

(Auf dem Stich erscheint das Hotel Belvoir nicht, da dessen erstes Gebäude, als Pavillon des alten Nidelbads, erst 1723 gebaut wird.)

In den ersten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts verstricken sich die beiden konkurrenzierenden Badebetriebe in Streitigkeiten und Prozessen: Es geht um das Abschöpfen der Wassermenge, um die Gefährdung des Wasservorkommens durch den Torfabbau, um die Bewirtung und Unterbringung der Badegäste …

1758 wird das obere Bad Zum Turbenberg schliesslich eingestellt, das Gebäude zu einem dreiteiligen Wohnhaus umgebaut, das nun nach der Besitzerfamilie Fehr Fehrenhaus heisst. Das untere Bad existiert weiter und wird in einer Neujahrsschrift der Zürcher Bader- und Ärztegesellschaft Gesellschaft zum Schwarzen Garten 1825 eingehend gewürdigt: XVIII. Neujahrsgeschenk von der neu errichteten Gesellschaft zum schwarzen Garten der lieben Zürcherischen Jugend gewidmet, auf das Jahr 1825 – Beschreibung des Nydelbades im Canton Zürich.

Im Sommer 1874 hält sich der Komponist Johannes Brahms in Zürich auf, wo er beim Zürcher Musikfest sein Triumphlied dirigiert. Während einer Schifffahrt mit dem Tonhalle-Dirigenten Friedrich Hegar sieht Brahms das Anwesen hoch auf dem Hügel und äussert spontan den Wunsch, dort in den Sommermonaten wohnen zu wollen. Tatsächlich findet sich im südlichen Hausteil der Familie Fehr eine Wohngelegenheit mit zwei Zimmern, das Musikhaus Hug stellt ein Klavier zur Verfügung, und Brahms verbringt dort drei Monate vom Juli bis Frühherbst 1874.

Eine Tochter des Hauses, Luise Fehr (-Zimmermann) hält ihre Erinnerungen an Brahms fest, die 1912 in der NZZ veröffentlicht werden. Und der Schriftsteller Kaspar Wolfensberger – ein Nachfahre der Malerin Anna Hug – schildert in seinem Roman Die Brahmskommode die Aufenthalte des Komponisten in Zürich und Rüschlikon.* Zu den Kompositionen, die Brahms in Rüschlikon schreibt, gehören die Neuen Liebeslieder op. 65 (die zweite Folge der Liebesliederwalzer op. 52) sowie verschiedene kleinere Vokalwerke. Heute erinnert eine Gedenktafel an den Aufenthalt des Komponisten, und das ehemalige Haus Zum Turbenberg bzw. Fehrenhaus heisst mittlerweile auch ganz allgemein Brahmshaus.**

 

Postkarte von Johannes Brahms aus Rüschlikon Juni 1874: Neben dem Nidelbad bei Hrn Fehr wohne ich ¼ St. über Rüschlikon.

 

1899 zog der Maler Hermann Gattiker in das Haus ein. Nach ihm folgten noch im gleichen Jahr Fritz Widmann, der Sohn des Schriftstellers, «Bund»-Feuilletonredaktors und Brahmsfreundes Josef Viktor Widmann, und seine Frau Gret Widmann, die Fotografin der mittlerweile klassischen Porträts von Hermann Hesse. In den Sommermonaten führte Gattiker hier einige Male für seine Schüler und Schülerinnen Kurse in Landschaftszeichnen durch. Später kaufte die mit ihnen befreundete Malerin Anna Hug das Haus und zog ebenfalls dorthin; etwas unterhalb des Hauses baute sie für sich und Gret Widmann ein Atelier.

Nach dem Tod von Fritz Widmann konnte Werner Weber 1937 den mittleren Hausteil sowie Widmanns Atelier erwerben, wo er vierzig Jahre lebte und arbeitete. Nach dessen Tod ging der Hausteil samt Atelier in den Besitz der Werner-Weber-Stiftung über. Heute wird es in Zusammenarbeit mit der Gemeinde Rüschlikon und dem Verein „kulturrüschlikon“ vor allem für Ausstellungen verwendet.

 

* Kaspar Wolfensberger: Die Brahmskommode. Bilgerverlag Zürich 2021

** Eine erweiterte Darstellung zu diesem Thema findet sich in: Sibylle Ehrismann / Verena Naegele: Johannes Brahms in Rüschlikon (2017) Die Broschüre kann bei der Werner–Weber-Stiftung bezogen werden.